Neues vom Stadtschreiber...


alte katholische Kirche um 1955

 

Die Pfarreien in Ginsheim - vor und nach der Reformation

(von: Hans-Benno Hauf, Stadtschreiber in Ginsheim-Gustavsburg - Ansprache vom 27.11.2014 im Kath. Pfarrheim St. Marien anlässlich "60 Jahre katholische Kirche Ginsheim")

Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlichen Dank für die Einladung, heute Abend zu Ihnen zu sprechen. Ich möchte versuchen, die Zeit der Pfarreien vor und nach der Reformation aus teilweise wenigen mir zugänglichen und veröffentlichten Quellen [1] zu beleuchten.

Vorweg einige Sätze zu dem Begriff Pfarrei. Abgeleitet aus dem griechischen „paroikia“, (am Haus, Nachbarschaft), beschreibt Pfarrei ab dem 6. Jahrhundert einen Seelsorgeort in ländlichem Gebiet mit Pfarrer und Kirche.

Lichtenberg Kirche von 1929

Lichtenberg Kirche von 1929

Die ländliche Pfarrei war nicht nur kirchliche Gemeinde oder eine religiöse Einheit sondern erfüllte von früh auf und immer stärker werdend im Laufe der Jahrhunderte auch soziale, fürsorgliche, allgemeinbildende, kulturelle und allgemeingesellschaftliche Funktionen.

Ein solcher Seelsorgebezirk war auch Ginsheim. Doch wie ist dieser Ort entstanden?

Schon im zweiten Jahrhundert gab es Christen im römischen Mainz und 343 ist Martinus als erster namentlich bekannter Bischof bezeugt.

Nachdem Mainz fränkisch geworden war, errichtete Bischof Sidonius im 6. Jahrhundert die
St. Georgskirche im rechtsrheinischen Kastel. Ein im Ried südlich von Trebur im 6. Jahrhundert begrabener Christ trug bereits einen germanischen Namen.

Während der Bischofsheimer Pfarrer und Heimatforscher Dr. Heinrich Steitz 1950 als Namensgeber für Ginsheim einen fränkischen Adeligen namens Gimmo oder Ginnin mutmaßte und diese Ableitung von Otto Wenke 1976 in der Ortschronik und von Pfarrer Dr. Helmut Hinkel 1984 in der Festschrift 700 Jahre Pfarrei übernommen wurde, kommt der Historiker und Sprachwissenschaftler Professor Dr. Ernst Erich Metzner 2011 bei seinen Forschungen zu einem bemerkenswert anderen Ergebnis.

Neben rheinfränkischer Herkunft der Dörfer mit der Endung „heim“ findet er darin auch alemannische Spuren. Er referiert, dass sich für den Namen Ginsheim annehmen lässt, dass die Ortsgründung und Benennung nach 260 nach Christus erfolgte, als die Alemannen in unser Gebiet kamen, aber vor ca. 780 nach Christus schon erfolgt war, weil da die Sitte, neue Orte mit dem Namenselement „heim“ zu benennen, außer Mode kam.

Professor Metzner findet – allerdings nicht unwidersprochen [2] - eine ersturkundliche Erwähnung von Gemminesheim am 26. Juni 767 in einer Schenkung von Karl dem Großen an das Kloster Lorsch und leitet den Namensprachwissenschaftlich von Ginmoinesheim ab, benannt nach seiner Lage an einem südlichen Mainarm in den Rhein.

Codex Eberhardi

Codex Eberhardi

Vom Hessischen Staatsarchiv anerkannt ist als Ersterwähnung mit dem Namen Gennesheim der 4. März 785 in einer Schenkungsurkunde im Codex Eberhardi für das Kloster Fulda, aufgrund dessen ja vor drei Jahren 1225 Jahre Ginsheim gefeiert wurde.

Spätestens zwanzig Jahre vor den Urkundenerwähnungen, hatte der heilige Bonifatius die Christianisierung der rechtsrheinischen Gebiete vollendet.

Irgendwann seitdem gab es, sei es nun Gemminesheim oder Gennesheim, dann eine Kirche und einen Pfarrer.

Eine Urkunde, die über die Gründung der Pfarrei berichtet, hat sich nicht erhalten, aber wahrscheinlich gab es auch keine. Als jedenfalls die Pfarrei Ginsheim gegründet wurde, geschah dies in der festen Organisation des Erzbistums Mainz mit seiner riesigen Ausdehnung vom Hunsrück bis nach Thüringen.

Ginsheim gehörte zur Verwaltungseinheit (genannt Archidiakonat) des Propstes von St. Viktor bei Weisenau [3].

Schenkungsurkunde

Schenkungsurkunde vom 8. Februar 1283

In den darauffolgenden fast 400 Jahren bleibt Ginsheim im Dunkel der Geschichte bis Kaiser Heinrich VI. in einer Urkunde vom 1. Februar 1190 dem Kloster Eberbach die von seinem Vater Kaiser Friedrich Barbarossa vorgenommene Schenkung der Rheininsel Varwerd beim Reichsdorf Gimmensheim an das Kloster Eberbach bestätigt.

Mit einer Urkunde vom 8. Februar 1283 tritt die Pfarrei Ginsheim erstmals in die dokumentierte Geschichte.

Hier schenken Werner von Bolanden und Philipp von Falkenstein und Münzenberg das Patronat über die Ginsheimer Kirche den Nonnen des Zisterzienser-Klosters von Patershausen in der Nähe des heutigen Heusenstamm.

Erwähnt wird auch der Inhaber der Pfarrstelle, Stiftsdekan Konrad Unrue. Diese Urkunde nahmen die beiden christlichen Gemeinden in Ginsheim 1984 zum Anlass, 700 Jahre Pfarrei Ginsheim gebührend zu würdigen.

Gutshof, ehemaliges Kloster Patershausen

Gutshof, ehemaliges Kloster Patershausen

Zu der „ecclesia parochialis“ genannten Pfarrkirche Ginsheim gehörten wohl schon die Filiale Bauschheim und der Hof Schönau (das damalige Mersheim).

Dies bestätigt sich 1333 durch die Seelsorgeverpflichtung des Ginsheimer Plebans [4]in Bauschheim. Pleban ist ein veraltetes Wort für einen Priester auf einer Pfarrstelle.

Auf den Königsgütern (villa imperii) wurden seinerzeit die ersten Pfarreien und Pfarrkirchen errichtet und so ist Ginsheim höchstwahrscheinlich eine der frühesten Pfarreien auf Königsgut, wofür auch die kleine räumliche Ausdehnung des Pfarrbezirks spricht.

Die Ginsheimer Pfarrkirche erhob sich schon immer an der Stelle der heutigen evangelischen Kirche. Sie besaß außer dem Hochaltar noch einen Nebenaltar, der dem heiligen Stephan geweiht war. Kirchenpatron war wohl der heilige Petrus, dies war bei Königsgütern damals üblich.

Die Kollatur, das Recht zur Ernennung des Pfarrers bzw. dessen Vorschlag an den Mainzer Erzbischof lag bis zum Jahr 1557 bei den Nonnen des Klosters Jungfrauenkron Patershausen. In diesem Jahr verkauften sie die Kollatur aus wirtschaftlichen Gründen an die Herren von Isenburg-Büdingen. Dr. Hinkel berichtet, dass die Äbtissin Margarete von Hedderdorff 1556 mit dem Rentmeister durchbrannte, sich dann im Reichklarenkloster Mainz in ihren Stallknecht verguckte. Ohne Äbtissin und neue Novizinnen erlosch das Kloster und die Gebäude kamen an Kurmainz und 1741 an die Grafen von Schönborn, die das heutige Hofgut bauen ließen.

Der erste Ginsheimer Pfarrer, der Mainzer Bürgersohn Konrad Unrue, bereits 1268 als Angehöriger des Liebfrauenstifts erwähnt, starb 1309 als Dekan dieses auch Mariengreden genannten Stiftes. Er lebte zwar als in Mainz, hatte die beträchtlichen Einkünfte der Ginsheimer Pfarrei, übte da aber die Seelsorge nicht aus, sondern überließ sie einem nicht genannten, minderbesoldeten Pleban. 1311 hatte ein solcher Leutpriester namens Wigandus [5] die Pfarrstelle inne, 1392 ist Pfarrer der Johannes von Butzbach. Er hatte den akademischen Grad eines Magisters der freien Künste, was etwa einem Doktor der Philosophie entspricht, trat aber die Stelle in Ginsheim nicht an. Dessen im selben Jahr bestimmter Nachfolger Johannes Cranich, war Sohn des Mainzer Bürgers Bertold Cranich wird als Kleriker bezeichnet, war also noch kein Priester.

1442 stirbt ein Pfarrer Jakob Stolbe und das Kloster Patershausen ernennt einen Johannes zum neuen Rektor. Hilfspriester sind 1487 ein Herr capellan Philips und um 1500 der Vize-Pleban Nikolaus Backhaus.

Die Stiftung des St. Stephan-Altars in der Pfarrkirche durch Unbekannte sind 1497 und 1527 erwähnt. Die Geschichte der Pfarrei ist historisch gesehen immer eine Geschichte der Pfarrer, der Bischöfe und der Landesherren oder von Rechtsgeschäften, Streitigkeiten, Einnahmen oder Ausgaben, Überaus selten finden sich in den vorhandenen Urkunden Hinweise auf die Gläubigen und ihr dörfliches Leben.

Einer dieser wenigen Hinweise ist aus den Jahren 1497 und 1527 bezeugter Erwerb von Äckern der St. Nikolaus-Bruderschaft, einem wichtigen religiösen und sozialem Zusammenschluss der Ginsheimer Fischer und Schiffer, nach der dieses Gemeindehaus [6] benannt wurde. Mit dem Ertrag bestritten sie die Kosten für Gottesdienste, Totengedächtnisse, Almosen für die Armen, Bruderschaftsfeste, die Absicherung der Mitglieder, besonders der Witwen und Waisen. Ein anderer Hinweis, dafür aber sehr ausführlich, zeigt uns das Ginsheimer Sendweistum von 1521 [7].

Der Send war eine Sonderform der kirchlichen Gerichtsbarkeit, die dazu diente, Vergehen der Pfarrangehörigen gegen die kirchliche Disziplin zu ermitteln und abzuurteilen. In dem Sendweistum war zur Visitation des Bischofs festgelegt: Der Herr der Synode, meist der Erzbischof, soll mit zwei Geistlichen und einem Schuljungen auf zwei Pferden und einem kleinen Pferd oder Esel ins Dorf reiten, aber nicht mitten im Weg, wo es schmutzig ist und auch nicht durch die Felder.

Der Glöckner soll vor dem Dorfzaun in einem weißen Kleid auf den Sendherr mit einem Stab als Erkennungszeichen warten, ihm ein Maß Wein zu trinken geben, das Pferd des Herrn beim Zaum auf den Pfarrhof führen. Auf dem Pfarrhof soll der Sendherr vom Einnehmer des Zehnten empfangen und samt dem Pfarrer, den sieben Kirchengeschworenen, dem Glöckner und dem Schmied bewirtet werden. Falls der Erzbischof über Nacht bleiben wollte, musste den Pferden Stroh bis zum Brustriemen, Hafer bis an die Augen gegeben werden. Ein Bett mit weißem Laken und eine beheizte Schlafstatt war ihm zu stellen und am nächsten Tag hatten die sieben Kirchengeschworenen je ein Huhn oder ein Maß Wein zu bringen.

Der Schmied hatte vier gestemmte und ungelochte Hufeisen, der Glöckner einen Scheffel [8] Hafer abzugeben. Die Gemeinde hatte 15 Schilling in Hellern, jede Familie außer den Kirchengeschworenen einen Heller zu entrichten.

Bei der zweiten Sitzung mussten die im Ort ansässigen Händler je 2 Pfennige, der Zehnteinnehmer 15 Tournois Synodalgeld und 5 Albus Stuhlgeld entrichten. Sollte der „gnedigste Herr von Mentz“ (also der Mainzer Erzbischof) selbst den Vorsitz des Sendgerichtes führen, erschien er mit vier Mann und einem Schuljungen und vier Pferden und einem Fohlen oder Esel. In diesem Falle waren ihm 30 Tournois (deutsch: Turnose) Synodalgeld und 10 Albus Stuhlgeld abzuliefern. In einem Synodalregister von Bensheim [9] ist vermerkt, dass der Pfarrverweser zu Ginsheim 13 Heller an Synodalgebühren zu zahlen hatte. 1521 war das der Ginsheimer Pfarrer Jakob Kreich [10]. Die Kirchenvisitation in der Reformationszeit war demnach nicht nur ein freudiges Ereignis. Oft fanden auch zwei Visitationen im Jahr statt. Und bei aller Gastfreundschaft: sie waren eine recht teure Angelegenheit für die Ginsheimer.

Ginsheimer Weistum um 1500

Ginsheimer Weistum um 1500

Wenn im Sendweistum vom Zehnten die Rede ist, so sollte in dieser Zeit im Ideal je ein Viertel des Zehnten dem Pfarrer, den Armen, den Fremden und dem Unterhalt von Kirche und Gottesdienst bestimmt sein.

In Wirklichkeit musste der Pfarrer immer mit den anderen Zehntherren um seinen Anteil kämpfen.

Er hatte in der Regel ein Wittum [11], ein Pfarrhaus mit Scheune, Äckern und Wiesen, das er selbst oder durch Knechte und Mägde bewirtschaftete, oft war er aber auch seinen Herren zu Schreibdiensten verpflichtet, weil er dessen kundig war.

Dass ein Pfarrer manchmal schlichtweg leer bei seinem Zehnt-Anteil ausging, davon zeugt die Kreativität der Bauern in der Pfarrfiliale Bauschheim im Jahre 1504, die, findig wie sie waren, in einer Reihe nur neun statt zehn Krautköpfe anbauten und sich dann weigerten, den Zehnten zu zahlen. Dr. Hinkel stellt mitleidend fünf Jahrhunderte später fest: „Gemütlich und üppig war so ein Pfarrerleben, auch was das Finanzielle betrifft, ehe weniger.

1598 war dies wohl ein wenig günstiger. Pfarrer Johann Konrad Nikolai schreibt 1669 in seinem Saalbuch, dass der Pfarrer im Jahr 1598 aus der Kellerei des Amtes Kelsterbach 40 Gulden, das sind nach heutiger Kaufkraft ca. 13.680 Euro, 20 Malter Korn, das waren in Mainz ca. 2180 Liter, und ein halbes Fuder Wein erhielt, das waren in Mainz immerhin 475 Liter, aus der herrschaftlichen Scheune Ginsheim vier Fuder, den dritten Teil des Weinzehnts in Ginsheim, aus den Filialen Mersheim und Bauschheim den Lämmer-, Gänse-, Ferkel-, Kraut-, Erbsen-, Flachs-, Heu- und Ölzehnten. Aus verpachteten Pfarräckern kamen einige Weißpfennige, Albus genannt, ein und der Kirchenkasten zahlte 16 Albus und 7 Pfennige.

Die Ginsheimer hatten dem Pfarrer den Zehnten von von Hirse, Flachs, Äpfel, Birnen, Nüsse und Ferkel zu entrichten. Für Kälber brauchten sie dies nicht, dafür durfte der Pfarrer aber seine Kühe und Schweine in den Wald treiben. 1598 bebaute der Pfarrer Nikolaus Gereumius neunzehn Morgen Äcker, einen Placken Wiesen und eineinhalb Morgen Obstgärten.

Die Hauptaufgaben des Pfarrers waren die konkrete Seelsorge: eine Messfeier mit sonntäglicher Predigt, Taufe, Trauung, Sterbebeistand, Beerdigung, Kindergottesdienst, Konfirmation, Armenfürsorge, Kirchenbau und Wallfahrten. 1598 erhielt der Pfarrer bei einer Kindtaufe 20 Kreuzer vom Vater, vom Taufpaten 12 Kreuzer, bei einer Konfirmation 30 Kreuzer, bei einer Hochzeit 1 Gulden und 20 Kreuzer.

Amtshandlungen auf Hof Mersheim ließen sich Pfarrer und Kirchendiener doppelt bezahlen. Ach ja Prozessionen: Besonders beliebt sollen die Flurprozessionen wie Christi Himmelfahrt gewesen sein, wo man die Gemarkung umritt, um die Flurgrenzen zu kontrollieren. Da soll an jeder markanten Stelle ein Messdiener eine Ohrfeige bekommen haben, damit er sich die wichtigen Punkte auch sicher merkte. Der leichte Klaps auf die Wange bei der Firmung sei heute noch ein Relikt davon, berichtet Dr. Hinkel [12].

In Mainz wird schon im Sinne Luthers gepredigt, als 1521 in Ginsheim der in Theologie studierte katholische Pfarrer Michael Reis amtiert, aber sein Amt aufgibt und der Ortsherr von Astheim, Herr Johannes, Abt des Klosters Jakobsberg in Mainz als Vertreter des Archidiakons den Jacob Kreich mit einer Urkunde die Ginsheimer Pfarrei anvertraut. Dieser kann aber nur kurz amtiert haben, denn schon 1526 stirbt der nächste Pfarrer Jacob Schmitt.

1530 setzte Landgraf Philipp der Großmütige das Luthertum endgültig in der Landgrafschaft um und verlangte, dass auch in Bauschheim evangelisch gepredigt werde. Da die Nonnen des Klosterhofs von Patershausen sich dem für Ginsheim widersetzten, wurde Bauschheim dem evangelischen Trebur zugewiesen, wogegen sich wiederum der in seinen Kompetenzen und Pfründen geschnittene Ginsheimer Pfarrer Armbroster genannt Balistarius sich erfolglos wehrte.

Er starb 1541 und Ginsheim war immer noch katholisch, was ein Eintrag in die älteste erhaltene Kirchenrechnung [13] belegt. Der letzte katholische Pfarrer, Johannes Steindecker, hatte die Pfarrstelle von 1541 – 1543 in Besitz.

Erst mit einem Vertrag des Isenburg-Büdinger Grafen Anton mit dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt wurde der katholische Pfarrer vertrieben und die Ginsheimer wurden evangelisch. Gefragt wurden sie nicht, erhielten aber die Bauschheimer wieder als Filiale zurück. Der erste protestantische Pfarrer ist nicht bekannt, ihm folgte 1550 – 51 Johann Epping aus Nidda, dessen Nachfolger Christoph Schlund aus Rodach, hatte sich in die Papisterey begeben, wurde aber bereitwillig evangelisch, als ihm die Ginsheimer Stelle angeboten wurde.

1571 wurde Pfarrer Georg Rolever in Ginsheim von den Isenburger abgesetzt. Der Landgraf von Hessen-Darmstadt erkannte die Absetzung nicht an und befahl die Übersiedlung nach Bauschheim zur Gründung einer eigenen Pfarrei. Da Rolever ein Jahr später nach Schornheim versetzt wurde, kam Bauschheim erneut zu Trebur, doch nach vier Jahren, also 1576 wieder als Filiale nach Ginsheim zurück.

Bemerkenswert ist der Antritt von Pfarrer Wilhelm Rommel 1577, der bei seinem Amtsantritt mit Abscheu feststellt, daß die katholischen „habith der chorrock und meßgewand“ noch in Gebrauch sind und dies sofort beseitigt, um „ergernus zu verhuten“. Er gründet eine Knabenschule mit vier Buben, die aber schnell wieder eingeht, weil die Buben nach einiger Zeit dem Unterricht fern blieben. „Dieweilen die Kinder außer übel gezogen und nur Lust zur Gassenbüberey lernen und treiben“ [14] beschloss Schultheiß Philipp Ort 1595 erneut, eine Schule einzurichten.

Wie knapp 50 Jahre zuvor mussten die Ginsheimer 1591 wieder das Bekenntnis wechseln oder auswandern, weil Graf Wolfgang von Isenburg-Kelsterbach sich als Calvinist verpflichtet fühlte. Als calvinistischer Prediger kam Hermann Meyfahrt für acht Jahre nach Ginsheim. Dann ereilte ihn das gleiche Schicksal wie seinem lutherischen Vorgänger und wurde verjagt, weil Graf Heinrich von Isenburg Ronneburg das Kelsterbacher Amt mit Ginsheim an den lutherischen Ludwig dem V. von Hessen-Darmstadt verkaufte. Der lutherische Pfarrer Nikolaus Gereumius [15] wirkte von 1598 bis zu seinem Tod 1627 als Pfarrer in Ginsheim, wo er begraben wurde.

Schweres Leid erfuhren die Menschen im dreißigjährigen Krieg auch in Ginsheim, besonders durch die mehrfache Belagerung der Stadt Mainz. So hatte das Dorf 1629 noch ca. 300 Einwohner, 11 Jahre später noch etwa 100 und 1648 sei der Ort fast menschenleer gewesen.

1648 zählt der Ort erst wieder 147 Einwohner. Von den Pfarrern ist Johann Peter Schaid ab 1627 bekannt, der sich wegen Ehrenkränkungen, durch die Gemeinde 1634 nach Griesheim versetzen ließ, wobei nicht vermerkt ist, wer und wodurch seine Ehre verletzt wurde. Sein Nachfolger Jeremias Held wurde 1635 nach nicht überlieferten Streitigkeiten vertrieben.

1638 verwüsteten Soldaten den Altar der Kirche. Erst 1639 kam mit dem Bischofsheimer Schulmeister Johannes Lotzig ein neuer Pfarrer, der aber schon 1642 verstarb. Im Saalbuch wird er als „verzaubert, krumm und lahm“ beschrieben. Pfarrer Burkhard Lotz musste sich 1646 eine Wohnung suchen, weil das Pfarrhaus durch die Schweden gänzlich abgerissen worden war. Und zu alle dem vertrieb ihn die Gemeinde 1652.

Bis nach dem 30 jährigen Krieg blieb der Schönauer Hof Filiale der Ginsheimer Pfarrei. Die Ginsheimer Pfarrer hatten dort an hohen Festtagen zu predigen, dreimal im Jahr das Abendmahl zu reichen und alle Taufen und Trauungen zu verrichten. Der nach dem Krieg stark entvölkerte Flecken kam erst zu Königstädten, dann nach Rüsselsheim.

In den vielen Kriegen des 17. Jahrhunderts war die Unterstützung Bedürftiger ein unverzichtbares Zeichen sozialen Handelns und tätiger Nächstenliebe und die sonntägliche Kollekte dafür eminent wichtig. Die Kastenrechnung von 1677 zeugt in einer langen Liste von einer Fülle von Not und Bedürftigkeit und ich habe nur einige Beispiele ausgewählt. Der Pfarrer gab 3 Albus einem blinden Kind, 2 Albus einem mit der schweren Not behafteten, 3 Albus einem ganz lahmen Menschen, 2 Albus einem armen Kind dem ein Schwein die Hand abgebissen hatte, 4 Albus für ein verbranntes Dorf in Würtemberg, 3 Albus für einen Vertriebenen aus Saarbrücken, 5 Albus einer vertriebenen evangelischen Pfarrerswitwe.

Einen nicht unerheblichen Beitrag für die Kirchenkasse leisteten die zur öffentlichen Kirchenbuße Verurteilten. Das Vergehen verkündete der Pfarrer sonntags von der Kanzel und erhielt 1 Gulden und 20 Kreuzer.

Und auch die Kirchenältesten und der Glöckner gingen nicht leer aus. Sie bekamen 15 bzw. 10 Kreuzer. Aus dem Nachlass eines Hingerichteten, der „sodomitisch gelebt“ hatte, flossen 5 Gulden in die Kasse, übles Fluchen brachte 3 Gulden. Wer nicht bzw. ungern in die Kirche ging oder die Predigt durch Lachen, Plaudern oder Unfug treiben störte wurde zu 20 Albus verurteilt.

Wenn sich die Folgen eines außerehelichen Verkehrs zeigten, waren 2 Gulden fällig. Handelte es sich gar um die Pfarrerstochter, wie im Jahr 1697, die man wegen begangener Hurerei mit einem Müllerknecht erwischte, war der Skandal in Ginsheim vollkommen.

Glocke von 1662, heute Rathaus Ginsheim

Glocke von 1662, heute Rathaus Ginsheim

Pfarrer Peter Wagner kam 1652 aus Groß-Bieberau nach Ginsheim und blieb bis zu seinem Tod 1666. Er wurde in der Kirche hinter dem Altar begraben. Er führte 1656 die Feier des Friedensdankfestes mit Abendmahl für die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges ein, kaufte 1662 eine neue Kirchenordnung und ein Gesangbuch für den Altar.

Sein Name ist verewigt auf der 1662 von Peter Speck in Mainz gegossenen Glocke, die ihnen aus dem Rathausturm jeden Tag die Stunde schlägt. Dem Nachfolger von Wagner, dem Johann Konrad Nikolai genannt Sonnenberger aus Schierstein war es vergönnt, in das neue Pfarrhaus einzuziehen.

Doch schon 1676 plünderten es Truppen, die gegen Ludwig XIV. ins Feld zogen. 1690 musste Nikolai die Gemeinde wegen Unfriedfertigkeit und schlechten Sitten verlassen. Wie schlimm es der Bevölkerung seinerzeit ergangen sein muss, lässt sich daran ablesen, dass der nachfolgende Pfarrer Johannes Moterus 1690 nur zwei Mal das Abendmahl austeilen konnte und der 1694 für kurze Zeit nach Ginsheim kommende Pfarrer Eberhard Philipp Zühl angesichts der vielen Waisenkinder den Bau eines Waisenhauses anregte.

Um das Jahr 1700 [16] zählt Ginsheim 67 Anwesen, davon 60 Hofreiten mit vom Schultheiß Traupel und dem Ortsgericht taxiertem Gesamtwert von 22.289 Rheinischen Gulden. Das ist heute eine Kaufkraft von ca. 7,6 Millionen Euro. Darunter befanden sich zwei Brauhäuser, ein Gemeindebackhaus und ein Hirtenhaus.

Meine Damen und Herren,

das wichtigste Ereignis der Amtszeit von Pfarrer August Philipp Schad aus Langen war der Neubau der Pfarrkirche. Die mittelalterliche Kirche war baufällig und zu klein geworden und musste 1744 abgerissen werden. Schon am 28. August 1746 konnte die von dem Darmstädter Superintendenten Johann Konrad Lichtenberg entworfene Kirche eingeweiht werden.

Im Innern erhielt sie einen Kanzelaltar, einen barocken Taufengel und wurde reich ausgemalt. Ein Jahr nach dem Neubau verließ Pfarrer Schad 1747 Ginsheim in Richtung Rüsselsheim.

Mit Pfarrer Dr. Wilhelm Wägner, der von 1842 – 1858 in Ginsheim wirkte, möchte ich zum Ende kommen. Er hat viele Verdienste. Großartig ließ er 1846 das hundertjährige Kirchweihfest mit Gottesdienst, Festzug, Spielen und Schiffswettfahrten begehen und hat dies ausführlich dokumentiert.

Ginsheimer Vergleichsverein (Schiedsgericht) von 1844

Ginsheimer Vergleichsverein von 1844

Er stiftete 1844 ein Schiedsgericht bei Zwistigkeiten in der Gemeinde, gründete 1849 einen Leseverein und 1854 einen Armenverein.

Er begann 1858 die als Quelle für die Geschichte Ginsheims so wichtige Chronik nicht als Pfarr-, sondern als Ortschronik. Die Pfarreigeschichte ab 1700 wird anhand von vorhandenen Quellen dichter.

So reichen zum Beispiel die ältesten vorhandenen Geburts-, Tauf- und Sterberegister bis dahin zurück. Doch diese Zeit möge einer anderen Betrachtung vorbehalten sein, sie würde den heutigen Rahmen sprengen.

Meine Damen und Herren,

nach der Reformation war die öffentliche Ausübung der katholischen Religion in Ginsheim verboten und nur durch Zufall lebte in den folgenden Jahrhunderten vielleicht mal ein Katholik im Ort. Dass es zwischen Protestanten und Katholiken immer wieder zu Konflikten kam, mögen zwei Sachverhalte belegen:

Am 11. August 1704 entschied Landgraf Ernst Ludwig, daß der Ginsheimer Christoph Dornau drei Jahre lang Schwarzbach und Landbach bis Wallerstädten zu seinem besten Nutzen befahren darf. Er regelte auch, wie viele Nachen die Ginsheimer und Wallerstädter im Wechsel einsetzen durften [17].

Dabei spielte neben wirtschaftlichen vor allem auch religiöse Interessen eine große Rolle. Anders ist es wohl nicht zu verstehen, wenn Ernst Ludwig untersagt, auf dem Gebiet der kurzmainzischen Astheimer von seinen protestantischen Untertanen Waren ein- und auszuladen.

Am 13. September 1716 entsendet der protestantische hessische Landgraf einen Amtmann nach Ginsheim. Er soll die unglaubliche Provokation durch die katholischen Astheimer untersuchen, die mit ihren Nachen von dem Schwarzbach kommend am nächsten Tag an der Ginsheimer evangelischen Kirche nach Weisenau vorbeipilgern.

Jedes Jahr am 14. September schmetterten die Katholiken vor der evangelischen Kirche den Gesang so laut in Richtung Ortsmitte, dass es die Ginsheimer provozierte und richtig ärgerte. Doch die Astheimer bekamen von der landgräflichen Aktion Wind und trieben am Wallfahrtstag stumm betend an Ginsheim vorbei.

Einige Jahre später haben sich die Astheimer beim Kurfürsten darüber beschwert, daß ihnen von 20 Soldaten an der Schwarzbachmündung bei der Wallfahrt Gewalt angetan wurde und sodann unterschreiben mussten, „künftig auf dem darmstädtischen Territorio solcher Gestalt nicht mehr singen zu wollen“ [18]. Der Gesang sollte durch „andächtig stille Gebete“ ersetzt werden, solange durch andersgläubiges Gebiet gefahren werde.

Es gab aber 1695 auch schon ein Fall von für diese Zeit ungewöhnlicher konfessioneller Toleranz, als ein Schäfer in Ginsheim starb, der „der papistischen Religion zugetan gewesen und darin verblieben“ und den lutherischen Pfarrer Zühl hatte rufen lassen.

Er wurde mit gewöhnlichem Gesang und Geläut wie auch einer in der Kirch vor dem Altar gehaltenen kurzen Sermon zur Erden bestattet“.

Chronik von Ginsheim 1858

Chronik von Ginsheim 1858

Dieses frühe Beispiel gelebter Ökumene finden wir in der Ginsheimer Pfarrgeschichte immer wieder.

So fanden sehr viel später Ginsheimer Katholiken 1939 für ihre Gottesdienste im evangelischen Gemeindehaus Gastrecht, auch dann noch, als die ev. Kirche ausgebombt war.

Oder beim Umbau des evangelischen Gemeindehauses bis 2013 war die Gemeinde lange Monate im katholischen Pfarrheim zu Gast.

Viele ökumenische Gottesdienste und Veranstaltungen prägen seit Jahrzehnten die gegenseitige Wertschätzung beider Pfarrgemeinden.

Durch die großen Bevölkerungsumwälzungen der Kriegs- und Nachkriegszeit siedelten viele Flüchtlinge und Vertriebene in Ginsheim. Es begann ein beispielhafter Integrationsprozess mit gelebter Hilfsbereitschaft und praktizierter Ökumene.

Am 1. Dezember 1953 wurde nach 410 Jahren erstmals wieder eine katholische Pfarrei in Ginsheim errichtet und Franz Hessel zum Pfarrer ernannt. Ein Jahr später, am 5. Dezember 1954 weihte Bischof Albert Stohr die Kirche St. Marien.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ohne die Chroniken von Pfarrer Dr. Wägner, von Dr. Steitz, Otto Wenke und Lajos Kakucs könnten wir auf die historischen Daten, Namen und Sachverhalte nicht zurückgreifen. Besonderen Dank statte ich Herrn Pfarrer Dr. Helmut Hinkel und Prof. Dr. Ernst Erich Metzner ab, die mir ihre Arbeiten zur Verfügung stellten.

Ihnen, verehrte Damen und Herren, sage ich herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Quellen, Anmerkungen:

  1. u.a. aaO. Chronik Ginsheim-Gustavsburg, Otto Wenke 1976; Geschichte der Pfarrei Ginsheim, Dr. Helmut Hinkel, 1984; Die Ginsheimer Pfarrei im Mittelalter, D. Helmut Hinkel, 2011, Der Namenssinn, die Gründungszeit und die Erstnennungen 767 ff von Ginsheim, Prof. Dr. Metzner, 2011, Wikipedia aaO;
  2. Heinrich Tischner, 28.10.2014
  3. untergliedert in Dekanate, und hier zu Groß-Gerau
  4. Priester mit pfarrlichen Rechten auf einer Pfarrstelle
  5. Wortbedeutung „der Kämpfende“
  6. am 16. August 1981
  7. siehe „Quellen zur Geschichte der Sendgerichte in Deutschland“
  8. Raummaß zwischen Bayern 222 ltr und Erfurt 60 Ltr.
  9. Würdtwein, Tom .I .Page 422 in Historisch-topographisch-statistische Beschreibung des Fürstentums Lorsch von Konrad Dahl 1812
  10. Anmerkung von Konrad Dahl zum Text des Sendweistums, Ausgabe 1812
  11. unbewegliches Pfarrvermögen, insbesondere Pfarrhaus
  12. 04.10.2011, Die Ginsheimer Pfarrei im Mittelalter
  13. aus dem Jahr 1540
  14. notiert in der Kirchenchronik
  15. oder Geraum, Gerheum, Gerum
  16. Stadtarchiv Mainz VOA 07/17
  17. StadtA Mainz, VOA 07/183
  18. Heimatspiegel, Blätter zur Pflege und Heimatliebe im Gerauer Land von 1931